Früherkennung

Früherkennung von Anlageträgern
1. Warum ist die Früherkennung so wichtig?
Bei der Polyposis coli entstehen Polypen im Dickdarm meist mehrere Jahre vor dem Auftreten erster Darmbeschwerden. Da Polypen unbehandelt praktisch immer in eine bösartige Geschwulst übergehen, ist es wichtig, diese Vorstufe frühzeitig zu erkennen und die Behandlung rechtzeitig einzuleiten. Um die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten zu verstehen, ist eine klinische Beratung in einem erfahrenen Zentrum dringend zu empfehlen. Denn: um die Entstehung von Krebs zu verhindern, ist in aller Regel eine große Operation erforderlich.

Die Behandlung besteht zumeist in einer prophylaktischen (= vorbeugenden) Entfernung des Dickdarms und des Mastdarms. Die Funktion des Dickdarms besteht vor allem im Entzug von Wasser aus dem Stuhlgang. Da der Dünndarm in der Lage ist, diese Funktion (zumindest teilweise) zu übernehmen, ist die Entfernung des Dickdarms in der Regel ohne wesentliche Einschränkung der Lebensqualität möglich. Insgesamt kann durch die Fortschritte der operativen Methoden eine gute Lebensqualität ohne dauerhaften künstlichen Darmausgang erreicht werden (Operationstechniken siehe Therapie).

Wenn keine rechtzeitige Diagnose und Behandlung erfolgt, nimmt die Krankheit häufig folgenden Verlauf:

Stadium Alter (Spanne)
Auftreten von ersten Polypen 17 Jahre (5–56 Jahre)
erste Darmsymptome 34 Jahre (2–73 Jahre)
Diagnose der FAP 35 Jahre (5–73 Jahre )
Diagnose von Dickdarmkrebs 40 Jahre (15-69 Jahre )
Tod an Dickdarmkrebs 44 Jahre (26-78 Jahre )

Bei diesen Zahlenangaben handelt es sich um Mittelwerte aus vielen Beobachtungen (Daten aus dem dänischen Polyposisregister). Bei einzelnen Patienten können diese Zeitangaben große Schwankungen aufweisen. So sind Dickdarmpolypen bei Kindern schon im Alter von 3 Jahren festgestellt worden, bei anderen sind die Polypen erst nach dem 35. Lebensjahr aufgetreten. In sehr seltenen Fällen kann sich der Dickdarmkrebs bereits im Kindes- und Jugendalter entwickeln.

 Nur durch eine rechtzeitige Erkennung und Behandlung kann die Krebsentstehung bei FAP verhindert werden!

 

2. Möglichkeiten der Früherkennung für Familien mit klassischer FAP

2.1. Darmspiegelung (Koloskopie)
Die Darmspiegelung ist eine sichere Methode eine Polyposis coli früh zu erkennen. Ein unauffälliges Ergebnis der Darmspiegelung kann die Erkrankung zu einem späteren Zeitpunkt allerdings nicht ausschließen. Deshalb muss die Untersuchung in regelmäßigen Zeitabständen wiederholt werden.

Als Vorsorgeuntersuchung genügt es, zunächst nur den Enddarm und S-Darm zu spiegeln (Rektosigmoidoskopie). Falls eine Polyposis coli vorliegt und sich Darmpolypen gebildet haben, sind sie fast immer auch im Enddarm festzustellen. Wenn dies bei einer Risikoperson der Fall ist, muss zur weiteren Abklärung eine vollständige Dickdarmspiegelung (totale Koloskopie) angeschlossen werden.

2.2 Molekulargenetische Untersuchung
Mit molekulargenetischen Methoden kann man heute bei einem großen Teil der Familien feststellen, ob eine Risikoperson die Anlage für FAP geerbt hat oder nicht. Das Ziel dieser Untersuchung ist es, einerseits rechtzeitig die Genträger zu erkennen und zu einer jährlichen Vorsorgeuntersuchung zu motivieren; andererseits kann denjenigen Risikopersonen, die den Gendefekt nicht geerbt haben, diese Untersuchung erspart werden.

Für die molekulargenetische Untersuchung benötigt man zuerst eine Blutprobe von einem an FAP erkrankten Angehörigen. Aus der Blutprobe wird die Erbsubstanz (DNS) isoliert und dann in einzelnen Abschnitten des APC-Gens direkt nach eventuellen Veränderungen (Mutationen) im Gen gesucht. Wird bei einem FAP-Patienten eine Mutation im APC-Gen gefunden, so kann den Kindern oder Geschwistern eine molekulargenetische Analyse hinsichtlich des Vorliegens dieser Mutation angeboten werden. Mit dieser Untersuchung können die Anlageträger für FAP sicher diagnostiziert werden.

Da bei Patienten aus verschiedenen Familien unterschiedliche Mutationen auftreten, die über einen großen Teil des APC-Gens verstreut sind, muss man bei jeder einzelnen Familie nach der hier vorliegenden Veränderung im APC-Gen suchen. Dies ist technisch sehr aufwändig, und bei einem Teil der Familien ist es mit den heute verfügbaren Methoden der Mutationssuche nicht möglich, die vorliegende Veränderung im Gen aufzufinden. In diesen Familien kann eine „indirekte“ Genotypanalyse (Kopplungsanalyse) eventuell für die Feststellung von Anlageträgern herangezogen werden; für die Kopplungsanalyse sind Blutproben von mehreren Familienangehörigen (in der Regel von mindestens zwei an FAP erkrankten Angehörigen) erforderlich

Schwarzes Genbild

 

 

 

Abb. 1: Durch die Möglichkeit der molekulargenetischen Untersuchung kann man frühzeitig feststellen, ob die Nachkommen die Veranlagung geerbt haben oder nicht.*



2.3 Untersuchung des Augenhintergrundes
Bei etwa 80% der Personen, die an Polyposis coli erkrankt sind, werden auf der Netzhaut runde oder ovale, meist dunkel pigmentierte Flecken beobachtet. Der Fachausdruck hierfür heißt CHRPE, stammt aus dem Englischen und ist die Abkürzung für „Congenitale Hypertrophie des retinalen Pigmentepithels“. Diese Veränderung der Netzhaut wird zusammen mit der Erbanlage, die zu Polyposis coli führt, vererbt. Die Sehfähigkeit wird dabei nicht beeinträchtigt. Die Veränderung der Netzhaut ist angeboren und kann durch eine einfache (schmerzlose) augenärztliche Untersuchung, und zwar eine Spiegelung des Augenhintergrundes (indirekte Fundoskopie), erkannt werden. Allerdings kommt diese Veränderung auch bei anderen Personen vor, so dass sie nicht beweisend für eine Polyposis-Erkankung ist.



*Quellen: Prof. Dr. Gabriela Möslein
Autor: Dr. Michael Mündel, Benedictus Krankenhaus Tutzing
letzte Überarbeitung: Dezember 2014